Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ für Aromen
Aktuelle Situation
Seit Mai 2008 regelt in Deutschland das EG-Gentechnik-Durchführungsgesetz (EG-GenTDurchfG) die Kennzeichnung von Lebensmitteln, bei deren Herstellung auf die Anwendung gentechnischer Verfahren verzichtet wurde. Das Gesetz wurde innerhalb kürzester Zeit auf den Weg gebracht und der Fokus lag auf wenig verarbeiteten, landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Dementsprechend sind derzeit mehrheitlich Lebensmittel wie beispielsweise Milch und Fleisch, die „ohne Gentechnik“ hergestellt sind, auf dem Markt verfügbar. Insbesondere beim Handel bestand der Wunsch, die Auslobung „ohne Gentechnik“ auch auf zusammengesetzte, aromatisierte Lebensmittel auszuweiten. Daraus ergab sich auch die Forderung nach ohne Gentechnik hergestellten Aromen.
Bei Aromen handelt es sich um komplex zusammengesetzte und hochverarbeitete Lebensmittel. Somit ergeben sich für Aromen, die in „ohne Gentechnik“ gekennzeichneten Lebensmitteln eingesetzt werden, weitergehende Auslegungsfragen, zu denen bis dato keine einheitliche Auffassung existiert.
Kennzeichnungsregeln zu GVO in der EU
Die Positivkennzeichnung von Lebensmitteln, die aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bestehen, GVO enthalten oder aus GVO hergestellt werden, ist in der EU einheitlich in der Verordnung (EG) 1829/2003 vom 22. September 2003 geregelt. Gemäß Artikel 12 (1) besteht für Lebensmittel, die GVO enthalten, daraus bestehen, aus GVO hergestellt werden oder Zutaten enthalten, die aus GVO hergestellt werden, eine Verpflichtung zur Kennzeichnung. Von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sind nach Artikel 12 (2) zufällige oder technisch unvermeidbare Anteile von maximal 0,9 % je Zutat. Nicht unter die Kennzeichnungsvorschriften der Verordnung (EG) 1829/2003 fallen Lebensmittel, die nicht aus, sondern durch/mit Hilfe von GVO hergestellt werden (Erwägungsgrund 16).
Eine Negativkennzeichnung von Lebensmitteln, die keiner Kennzeichnungsverpflichtung nach VO (EG) 1829/2003 unterliegen, ist im EU-Recht nicht vorgesehen. Aufgrund dieser fehlenden Regelung ist es den einzelnen Mitgliedsstaaten freigestellt nationale Vorschriften im Hinblick auf eine Negativkennzeichnung (z.B. „ohne Gentechnik“) zu erlassen.
Einige Länder haben bereits nationale Vorgaben erlassen. Als Beispiele sind hier neben Deutschland auch Österreich und Frankreich zu nennen. Bereits bei diesen wenigen nationalen Vorgaben sind (teils erhebliche) Unterschiede in den Anforderungen feststellbar, mit denen die Aromenindustrie konfrontiert wird. Eine EU einheitliche Regelung sollte daher angestrebt werden.
Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ in Deutschland
Die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ ist in Deutschland im EGGenTDurchfG vom 22. Juni 2004 geregelt und gilt für Lebensmittel und damit auch für Aromen. Nur bei Einhaltung der in § 3a Abs. 2 bis 5 niedergelegten Anforderungen dürfen Lebensmittel mit dem Hinweis „ohne Gentechnik“ ausgelobt werden.
Nachfolgend die Voraussetzungen:
- Absatz (2) schreibt vor, dass keine Lebensmittel und Lebensmittelzutaten verwendet werden dürfen, die selbst GVO sind bzw. die aus GVO hergestellt worden sind. Dies bedeutet, dass alle (rezepturmäßigen) Bestandteile diese Bedingung erfüllen müssen.
- Dies gilt im Sinne von Absatz (3) auch dann, wenn diese rezepturmäßigen Bestandteile von der Kennzeichnungspflicht nach Verordnung (EG) 1829/2003 ausgenommen sind. Entsprechend kann der Schwellenwert von 0,9 % für in der EU zugelassene GVO in Bezug auf zufällige oder technisch unvermeidbare Anteile nicht angewendet werden. Folglich gilt quasi eine „Nulltoleranz“.
- Für rezepturmäßige Bestandteile tierischer Herkunft dürfen gemäß Absatz (4) dem Tier, von dem das Lebensmittel gewonnen worden ist, innerhalb bestimmter Fristen keine GVO-kennzeichnungspflichtigen Futtermittel verabreicht worden sein.
- Absatz (5) besagt, dass keine Lebensmittel, Lebensmittelzutaten und Verarbeitungshilfsstoffe zum Zubereiten, Bearbeiten, Verarbeiten oder Mischen eines Lebensmittels oder einer Lebensmittelzutat benutzt werden dürfen, die durch GVO hergestellt wurden.
Gemäß § 3b muss derjenige, der Lebensmittel mit der Angabe „ohne Gentechnik“ in den Verkehr bringt oder bewirbt, Nachweise für die Einhaltung der genannten Anforderungen führen. Geeignete Nachweise sind beispielsweise verbindliche Lieferantenerklärungen, Etiketten/Begleitdokumente der verwendeten Ausgangserzeugnisse und Analyseberichte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass über die Nichtverpflichtung zur Kennzeichnung von GVO gemäß Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 hinaus folgende Anforderungen erfüllt sein müssen:
- Keine Verwendung von durch/mit Hilfe von GVO hergestellten Lebensmittelzutaten und Verarbeitungshilfsstoffen in der gesamten Produktionskette aller rezepturmäßigen Bestandteile.
- Nulltoleranz für zufälliges oder technisch nicht zu vermeidendes Vorhandensein von GVO bezogen auf alle rezepturmäßigen Bestandteile.
- Bei Lebensmittelzutaten tierischer Herkunft: Keine Verabreichung GVO-haltiger Futtermittel innerhalb bestimmter Fristen.
Eine Lieferantenerklärung für die rezepturmäßigen Bestandteile oder die gesamte Aromamischung, dass keine Kennzeichnungspflicht gemäß VO (EG) 1829/2003 besteht, reicht also nicht aus.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch das Verbot der Verwendung von GVO gemäß Öko-Verordnung (EU) 2018/848 nicht in allen Punkten den Anforderungen für eine „ohne Gentechnik“ Auslobung genügt. Somit können für den Einsatz in Biolebensmitteln geeignete Aromen nicht automatisch auch als „ohne Gentechnik“ ausgelobt werden, sondern die oben ausgeführten Anforderungen müssen im Einzelnen geprüft werden.
Herausforderung bei Aromen
Um das gewünschte Geschmacksprofil zu erhalten, bestehen Aromen in der Regel aus einer Vielzahl aromatisierender Bestandteile. Daneben enthalten sie meist auch Zusatzstoffe und/oder Lebensmittel zu technologischen Zwecken. Die Bestandteile von Aromen sind oft hoch verarbeitet, d.h. sie werden in mehrstufigen Prozessen aus den verschiedensten Ausgangsmaterialien hergestellt.
Die detaillierten Produktionsprozesse, Ausgangsmaterialien und Verarbeitungshilfsstoffe fallen unter das berechtigte Interesse des Herstellers auf Wahrung seiner Geschäftsgeheimnisse. Darüber hinaus sind die Lieferketten ebenfalls meist komplex.
Aktuell fehlt mit Blick auf die Anforderungen des § 3a des EGGenTDurchfG eine einheitliche, kongruente Interpretation für hochverarbeitete, mehrstufig produzierte Komponenten von Aromen. Der Gesetzgeber hat hierzu keine Interpretationshilfe zur Verfügung gestellt.
Insbesondere die Frage, welche Stoffe im Laufe des Produktionsprozesses berücksichtigt werden müssen, und die Betrachtungstiefe der Prüfung – d.h. die Stufe bis zu der der Herstellprozess rückverfolgt werden muss – sind unklar.
Das EGGenTDurchfG bezieht sich bei der Definition „durch einen genetisch veränderten Organismus hergestellt“ auf den letzten lebenden Organismus gemäß Öko-Verordnung. Dieser ist jedoch im Rechtstext nicht näher definiert worden. Insbesondere bei komplexen Herstellungswegen existieren abweichende Auffassungen, was genau dieser sogenannte letzte lebende Organismus ist.
Aktivitäten des DVAI
Der DVAI hat sich zu dem Thema intensiv mit relevanten Gesprächspartnern, vor allem dem Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V. – VLOG ausgetauscht und seine bestehende Position dargelegt. Ziel war es, zu einem gemeinsamen Verständnis der „Ohne Gentechnik“-Anforderungen zu gelangen, um darauf basierend einen Auslegungsleitfaden zu erarbeiten.
Im Laufe der Gespräche zeigte sich, dass die Vorstellungen der übrigen Beteiligten die Komplexität der Aromen nicht ausreichend berücksichtigt hatten. Mit zunehmender Detailtiefe ergaben sich immer weitere Auslegungsfragen und auch Widersprüche.
Es kristallisierte sich zudem heraus, dass die unterschiedlichen Interpretationen und Anforderungen seitens der relevanten Stakeholder (z. B. Überwachung, Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V. – VLOG und den entsprechenden Zertifizierern) nicht in Einklang gebracht werden können.
Es existieren beispielsweise unterschiedliche Auffassungen darüber, bis zu welcher Stufe in der Herstellungskette des Lebensmittels die Anforderungen des EG Gentechnikdurchführungsgesetztes anzuwenden sind und welcher Zutatenbegriff gilt: VO (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV) versus die von der LMIV abgelöste Etikettierungsrichtlinie (RL 2000/13/EG). Weiterhin besteht Unklarheit darüber, was unter dem sogenannten „letzten lebenden Organismus“ zu verstehen ist, insbesondere bei mehrstufig produzierten Komponenten.
In einem externen Rechtsgutachten, welches von VLOG in Auftrag gegeben wurde, werden Trägerstoffe, die in der Regel die Hauptzutat von Aromen darstellen, als Rückstände des verzehrfertigen Lebensmittels eingestuft mit der Schlussfolgerung, dass die Anforderungen des § 3a Abs (2) bis (4) nicht gelten und die Trägerstoffe damit „aus GMO“ hergestellt sein können. Diese Auffassung teilt der DVAI nicht.
Verantwortlich für die Einhaltung der Vorschriften des in Deutschland geltenden Lebensmittelrechts und damit auch des EGGenTDurchfG ist die deutsche Lebensmittelüberwachung.
Vertreter der deutschen Lebensmittelüberwachung haben in ihrer im Jahr 2016 verabschiedeten Stellungnahme (siehe ALS-Stellungnahme Nr. 2016/01: Leitfaden zur Kontrolle gentechnischer Veränderungen in Lebensmitteln vom 29.03.2017) als Voraussetzung für die „Ohne Gentechnik“ Kennzeichnung bestätigt, dass die in § 3a EGGenTDurchfG genannten Voraussetzungen auch für vorgelagerte Produktionsstufen gelten. Damit wären auch Zutaten von zusammengesetzten Zutaten umfasst (z.B. Trägerstoffe in Aromen).
Auch im „Merkblatt Komponenten – Anerkennung von Aromen“ des VLOG, Stand 30.12.2019, wird am Beispiel des Ethanols eine von anderen Stakeholdern abweichende Auffassung vertreten.
Demnach wäre Ethanol, welches aus GVO-Mais hergestellt wurde, als „aus GVO hergestellt“ zu kennzeichnen. Dementgegen steht die Aussage in der ALS-Stellungnahme Nr. 2016/01, Kapitel 5.5 auf die Frage, ob reiner Ethanol, der aus GVO-Mais als Substrat mit konventionellen Hefen hergestellt wurde, bei der Verwendung in Lebensmitteln gekennzeichnet werden müsse: „Produkte, die durch Metabolisierung in einem konventionellen Organismus entstanden sind, werden nicht als „aus GVO hergestellt“ angesehen und müssen daher nicht gekennzeichnet werden. Seit der Implementierung der GVO-Verordnungen hat sich die Auffassung etabliert und wird auch so von anderen Stakeholdern vertreten, unter anderem von EFFA und dem Lebensmittelverband Deutschland.
Aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen und ungeklärten Fragen ist es aus unserer Sicht derzeit nicht möglich einen Anforderungskatalog für Aromen, die in „ohne Gentechnik“ gekennzeichneten Produkten eingesetzt werden sollen, zu erstellen, der sowohl für die Industrie praktikabel und umsetzbar ist, aber auch bei den relevanten Stakeholdern Akzeptanz findet. Es bleibt festzuhalten, dass der reine Wortlaut des Gesetzes Interpretationsspielräume bietet und der Gesetzgeber hierzu bislang keine Hilfestellungen zur Verfügung gestellt hat.
Fazit
Aktuell herrscht Rechtsunsicherheit in der Lebensmittelindustrie (Zulieferindustrie und Endproduktehersteller), was die Auslegung des § 3a Abs. 2 bis 5 EGGenTDurchfG betrifft.
Es ist deshalb anzuraten, die Anforderungen strikt anzuwenden und die Eignung für Produkte „ohne Gentechnik“ nur zu bestätigen, wenn zuverlässige Nachweise vorliegen, dass die unter § 3a EGGenTDurchfG genannten Voraussetzungen auf allen Stufen der Herstellung eingehalten wurden und der Produktionsprozess aller rezepturmäßigen Bestandteile inklusive Verarbeitungshilfsstoffe somit lückenlos komplett rückverfolgt werden kann.
Dies dürfte im Hinblick auf die Komplexität der Herstellprozesse und Lieferketten für komplex zusammengesetzte Aromen in der Regel nicht umsetzbar sein.
Letzten Endes ist hier der Gesetzgeber aufgerufen, für Klarheit und Rechtssicherheit zu sorgen. Dies kann aus Sicht des DVAI nur im Rahmen einer europaweit harmonisierten Regelung erfolgen.
Stand: 24.02.2020