Natürliches Vanillin aus Lignin?
Bewertung des vermeintlich neuen Verfahrens zur Herstellung von natürlichem Vanillin aus Sicht des DVAI
Durch diverse Veröffentlichungen (siehe Literaturliste) in verschiedenen Medien, wurde der DVAI Ende des Jahres 2020 auf ein vermeintlich neues Verfahren zur Herstellung natürlichen Vanillins aus dem Holzbestandteil Lignin aufmerksam. Aus Sicht des Verbands ist das hierin beschriebene elektrochemische Verfahren nicht zur Herstellung eines natürlichen Aromastoffs im Sinne der EG-Aromenverordnung Nr. 1334/2008 geeignet. Der DVAI möchte daher im Folgenden seine Einschätzung zu den zum Teil irreführenden Aussagen erläutern.
Wie wird das neue Verfahren beschrieben?
Unter anderem im Artikel „Guter Geschmack aus Holz“ [Nachr. Chem. 2020, 68(11), 42] wird ein Verfahren beschrieben, durch das Vanillin aus dem Holzbestandteil Lignin hergestellt werden kann. Lignin wird hierfür in Natronlauge auf 160 °C unter Druck erhitzt und anodisch/elektrochemisch an einer Nickelelektrode oxidiert. Es wird behauptet, dass dieses Verfahren als „natürlich“ einzustufen ist, da es sich um eine „reagenzfreie Umsetzung“ handelt.
Wie ist ein „natürlicher Aromastoff“ definiert?
Gemäß EG-Aromenverordnung Nr. 1334/2008 sind Aromastoffe chemisch definierte Stoffe mit Aromaeigenschaften. Sie dürfen im Sinne des Artikels 3 (2) c) nur dann als „natürlich“ gekennzeichnet werden, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu gehört, dass sie durch geeignete physikalische, enzymatische oder mikrobiologische Verfahren aus pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ausgangsstoffen gewonnen werden müssen, die als solche verwendet oder mittels eines oder mehrerer der in Anhang II der EG-Aromenverordnung aufgeführten herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsverfahren für den menschlichen Verzehr aufbereitet werden. Es handelt sich hierbei um Verfahren, die seit langem im häuslichen, aber auch industriellen Umfeld bei der Lebensmittelherstellung verwendet werden wie z. B. Mischen oder Zerhacken, aber auch Erhitzen, Kochen, Backen, Braten (bis 240 °C bei atmosphärischem Druck) und Druckkochen (bis 120 °C).
„Geeignete physikalische Verfahren“ sind gemäß Artikel 3 (2) k) Verfahren, bei denen die chemischen Eigenschaften der Aromabestandteile nicht absichtlich verändert werden, unbeschadet der bereits genannten herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsverfahren aus Anhang II. Darüber hinaus dürfen unter anderem Singulett-Sauerstoff, Ozon, anorganische Katalysatoren, Metallkatalysatoren, metallorganische Reagenzien und/oder UV-Strahlen nicht zu ihrer Herstellung eingesetzt werden.
Zudem müssen natürliche Aromastoffe natürlich vorkommen und in der Natur nachgewiesen worden sein.
Vanillin aus Lignin – ein natürlicher Aromastoff?
Holz ist ein für die Herstellung von natürlichen Aromastoffen zulässiges pflanzliches Ausgangsmaterial. Aus dem Holzbestandteil Lignin wird bereits seit Jahrzehnten Vanillin hergestellt, jedoch darf dieses aufgrund der dabei angewandten chemischen Verfahren nicht als natürlich im Sinne der EG-Aromenverordnung bezeichnet werden. Auch das hier beschriebene, neue elektrochemische Herstellverfahren führt aus Sicht des DVAI nicht zu einem natürlichen Aromastoff. Denn elektrochemische Verfahren sind keine herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsverfahren. Die Verwendung anorganischer und Metallkatalysatoren ist für die Herstellung natürlicher Aromastoffe zudem explizit verboten und die Anwendung von Druck ist nur im Rahmen des herkömmlichen Druckkochens bei Temperaturen bis maximal 120 °C erlaubt.
Eine Substanz, welche also wie im vorliegenden Fall durch eine anodische Oxidation bei 160 °C unter Druck mit Nickelkatalyse und Natronlauge in stark alkalischer Lösung hergestellt ist, erfüllt die Anforderungen an einen natürlichen Aromastoff nicht. Darüber hinaus sind bereits die drastischen Herstellbedingungen des in diesem Falle als Vorläufer eingesetzten Kraft-Lignins als nicht natürlich im Sinne der EG-Aromenverordnung anzusehen.
Welche Herstellungsverfahren zur Gewinnung von natürlichem Vanillin gibt es?
Die Aromenindustrie nutzt verschiedene Verfahren zur Herstellung von natürlichem Vanillin. Zum Beispiel kann der Aromastoff direkt aus Vanilleschoten isoliert werden. Da die Nachfrage nach Vanillin jedoch höher ist als das natürliche Vanillevorkommen, kann der weltweite Bedarf mit dieser Methode allein nicht gedeckt werden. Zudem ist dieses Verfahren wenig nachhaltig und außerdem sehr teuer, daher wird der Großteil des heutzutage eingesetzten natürlichen Vanillins biotechnologisch hergestellt.
Als Ausgangsmaterial dient hier oft Ferulasäure, die wiederum hauptsächlich aus Reiskleie gewonnen wird. Zunehmend werden auch andere Ausgangsmaterialien wie Mais eingesetzt. Natürliches Vanillin kann ebenfalls biotechnologisch aus Eugenol z. B. aus Nelkenöl oder Curcumin aus Kurkuma hergestellt werden [Siehe u. a. Molecular Plant 2015, 8(1), 40ff].
Fazit
Der DVAI begrüßt grundsätzlich die Entwicklung neuer Verfahren für die Herstellung von Aromastoffen. Die EG-Aromenverordnung stellt hohe Anforderungen an die Natürlichkeit eines Aromastoffes, welche zwingend einzuhalten sind.
Vanillin aus Lignin, welches mittels elektrochemischer Verfahren gewonnen wird, erfüllt diese nicht. Somit kann dieses Vanillin in der EU nicht als „natürlich“ bezeichnet, beworben und/oder gekennzeichnet werden.
Dieses Fazit steht auch im Einklang mit der Auffassung der Arbeitsgruppe Aromastoffe der Lebensmittelchemischen Gesellschaft [Nachr. Chem. 2021, 69(1), 95].
Literatur
Nachrichten aus der Chemie: „Biogene Produkte – Guter Geschmack aus Holz“, 68, November 2020, S. 42ff.
Deutsche Lebensmittel-Rundschau: „Nachhaltig Vanillin gewinnen“, DLR Juni 2020, S. 264.
Daniel Schleidt: „Aromastoff-Herstellung – Vanillin aus Holzabfällen“, Frankfurter Allgemeine 1. Juni 2020.
Labo.de: „Gewinnung von Vanillin aus Holzabfällen“, labo.de 5-6/2020, S. 44f.
Johannes Struck: „Vanillin aus Holzabfällen: Neues, energieeffizientes Verfahren aus Mainz“, lebensmittelmagazin.de 19. Juni 2020, URL: https://www.lebensmittelmagazin.de/wirtschaft/20200619-vanillin-aus-holzabfaellen-neues-energieeffizientes-verfahren-aus-mainz/.
Karin Schlott: „Aromen – Vanillin aus Holzabfällen“, Spektrum.de 15. Mai 2020, URL: https://www.spektrum.de/news/vanillin-aus-holzabfall/1735396.
Martin Jendrischick: „Durchbruch: ‚Natürliche Vanille‘ aus Holzresten, CleanThinking.de 29. Mai 2020, URL: https://www.cleanthinking.de/cleantech-durchbruch-vanille-aus-holzresten/.
Global Magazin: „Vanillin aus Holzabfällen“, globalmagazin.com 6. Mai 2020, URL: https://globalmagazin.com/vanillin-aus-holzabfaellen/.
Trends der Zukunft: „Vanillin aus Lignin statt aus Erdöl: Umweltfreundliche Herstellung des wichtigsten Aromastoffs“, trendsderzukunft.de 10. Juni 2020, URL: https://www.trendsderzukunft.de/vanillin-aus-lignin-statt-aus-erdoel-umweltfreundliche-herstellung-des-wichtigsten-aromastoffs/.
Liberate: “Researchers at Mainz University develop a sustainable method for extracting vanillin from wood processing waste”, liberate-project.eu 4. Juni 2020, URL: https://www.liberate-project.eu/researchers-at-mainz-university-develop-a-sustainable-method-for-extracting-vanillin-from-wood-processing-waste/.
Forst Praxis: „Umweltfreundlich: Vanillin aus Holz“, forstpraxis.de 10. Juni 2020, URL: https://www.forstpraxis.de/jgu_vanillin_aus_holz_mkg/.
Watson: „Heiß begehrtes Gut: Forscher stellen aus Abfallstoff Vanillin her“, watson.de 20. Mai 2020, URL: https://www.watson.de/nachhaltigkeit/essen/167069972-heiss-begehrtes-gut-forscher-wandeln-abfallstoff-in-vanillin-um.
Nethaji J. Gallage und Birger Lindberg Mᴓller: “Vanillin-Bioconversion and Bioengineering of the Most Popular Plant Flavor and Its De Novo Biosynthesis in the Vanilla Orchid”, Molecular Plant 8, Januar 2015, S. 40ff.