Natürliche Aromastoffe – Stoffe, die natürlich vorkommen und in der Natur nachgewiesen wurden
Definition „natürlicher Aromastoff“
Aromastoffe sind chemisch definierte Stoffe mit Aromaeigenschaften. Ein natürlicher Aromastoff wird gemäß Artikel 3 (2) c) der EG-Aromenverordnung 1334/2008 aus pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ausgangsstoffen gewonnen, die als solche verwendet oder mittels eines oder mehrerer der in Anhang II der EG-Aromenverordnung aufgeführten herkömmlichen Lebensmittelzubereitungsverfahren für den menschlichen Verzehr aufbereitet werden z. B. Mischen, Zerhacken, aber auch das Erwärmen, Braten, Backen und Kochen. Satz 2 des gleichen Artikels besagt, dass natürliche Aromastoffe natürlich vorkommen und in der Natur nachgewiesen wurden.
Die Begriffe „natürlich vorkommen“ und „in der Natur nachgewiesen“
Der Gesetzgeber definiert in diesem Zusammenhang leider nicht genauer die Bedeutung der Begriffe „natürlich vorkommen“ und „in der Natur nachgewiesen“. Dies führt mittlerweile sogar dazu, dass dies bei der Beurteilung von natürlichen Aromastoffen soweit ad absurdum geführt wird, dass „Natur“ im Sinne von allem ausgelegt wird, was nicht vom Menschen geschaffen d.h. be- oder verarbeitet wurde.
Hier ein Beispiel: Ein Apfel wäre in diesem Sinne Natur und ein genuin darin vorkommender und analytisch nachgewiesener Aromastoff demnach „natürlich vorkommend und in der Natur nachgewiesen“. Der aus dem Apfel durch Auspressen gewonnene Saft dagegen würde schon nicht mehr unter diese strenge Auslegung des Begriffs „Natur“ fallen. Aromastoffe die im Apfel nicht genuin vorhanden sind, sondern sich erst bei der Verarbeitung zum Saft bilden und in diesem nachweisbar sind, wären folglich nicht „natürlich vorkommend und in der Natur nachgewiesen“.
Aromastoffe, die in Lebensmitteln erst bei der Verarbeitung durch herkömmliche Lebensmittelzubereitungsverfahren entstehen, und nicht zusätzlich genuin in einem unverarbeiteten Lebensmittel vorkommen, werden somit per se vom „Natürlichkeitsbegriff“ ausgeschlossen.
Viele Aromastoffe entstehen jedoch erst durch die Zubereitung für den menschlichen Verzehr und tragen damit zu den besonders intensiven und beliebten Geruchs- und Geschmackseindrücken verarbeiteter Lebensmittel bei. Frisch geerntete Vanilleschoten haben noch nicht das typische Aroma und den Geschmack der Vanille. Durch die Trocknungs- und Fermentierungsprozesse wandeln sich u.a. Vorstufen des Vanillins in Vanillin um. Erst durch die Röstung von rohen Kaffeebohnen erhält man ein genussfähiges Lebensmittel. Dabei finden komplexe chemische Reaktionen statt und zahlreiche charakteristische Aromastoffe werden neu gebildet. Gleiches geschieht beim Braten von Fleisch und beim Backen von Brot. Aromastoffe entstehen im Rahmen der sogenannten Maillard-Reaktion und sind verantwortlich für die intensiven Röstaromen dieser Lebensmittel. Beim Erhitzen von Zucker entsteht aromatisches Karamell.
Fermentierte Milchprodukte wie Käse oder Joghurt sowie Produkte aus Gärungsprozessen wie Wein oder Sauerkraut sind weitere bekannte Beispiele für Lebensmittel, bei denen erst im Rahmen der Verarbeitung viele für diese Produkte charakteristischen Aromastoffe neu gebildet werden.
Prozesse wie Erhitzen, Trocknen, Fermentieren oder Rösten haben eine lange Tradition bei der Zubereitung von Lebensmitteln und sind teilweise unerlässlich, um genussfähige, sichere und haltbare Lebensmittel zu erhalten. Anhang II der EG-Aromenverordnung listet weitere herkömmliche Verfahren, die bei der Zubereitung von Lebensmitteln traditionell eine wichtige Rolle spielen, z. B. Mischen, Schneiden, Auspressen sowie Destillieren und Extrahieren.
Auch der Nachweis in einem mittels herkömmlicher Zubereitungsverfahren aufbereiteten Lebensmittel ist geeignet, um einen Aromastoff als „natürlich vorkommend“ zu klassifizieren. Es war u. E. nicht vorgesehen Aromastoffe, die in traditionell zubereiteten Lebensmitteln vorkommen, von der Definition „natürlich vorkommend und in der Natur nachgewiesen“ auszuschließen.
Herleitung aus der Vorgeschichte
Die Gültigkeit dieser Auslegung wird insbesondere anhand der Entstehungsgeschichte der EG-Aromenverordnung deutlich. Die derzeitige EG-Aromenverordnung basiert auf der Aromenrichtlinie 88/388/EWG, deren Grundprinzipien (insbesondere die Anforderungen an die Natürlichkeit) in die EG-Aromenverordnung übertragen wurden.
Gemäß Artikel 1 Abs (2) b) der Richtlinie 88/388/EWG sind natürliche Aromastoffe definierte chemische Stoffe, die gewonnen werden
i) durch geeignete physikalische Verfahren (einschließlich Destillation und Extraktion mit Lösungsmitteln) oder enzymatische bzw. mikrobiologische Verfahren aus Stoffen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs, die als solche verwendet oder mittels herkömmlicher Lebensmittelzubereitungsverfahren (einschließlich Trocknen, Rösten und Fermentierung) für den menschlichen Verzehr verarbeitet werden.
Ein naturidentischer Aromastoff wird gewonnen
ii) durch chemische Synthese oder durch Isolierung mit chemischen Verfahren, wobei seine chemische Beschaffenheit mit einer Substanz identisch ist, die in einem Stoff pflanzlichen oder tierischen Ursprungs im Sinne von Ziffer i) natürlich vorkommt;
Entsprechend ist ein künstlicher Aromastoff definiert als ein Stoff, welcher nicht mit einer Substanz identisch ist, die in einem Stoff im Sinne von Ziffer i) natürlich vorkommt.
Die Formulierung „in der Natur nachgewiesen“ wird hier zwar nicht verwendet, dafür aber „natürlich vorkommend“. Die Richtlinie nutzt den Wortlaut des „natürlichen Vorkommens“ um zwischen den naturidentischen und künstlichen Aromastoffen zu unterscheiden und bezieht sich zu diesem Zweck auf die Definition des natürlichen Aromastoffs gemäß (i) bzw. die darin beschriebenen „Stoffe pflanzlichen oder tierischen Ursprungs die als solche verwendet oder mittels herkömmlicher Lebensmittelzubereitungsverfahren verarbeitet werden“. Demnach gelten Aromastoffe als „natürlich vorkommend“, auch wenn sie erst bei der Verarbeitung eines Lebensmittels gebildet werden.
Die neue EG-Aromenverordnung 1334/2008/EG gilt seit dem 20. Januar 2011 verbindlich in allen EU-Mitgliedstaaten und ersetzt seitdem die Vorschriften der europäischen Aromenrichtlinie 88/388/EWG sowie die darauf basierenden nationalen Regelungen. Im Rahmen der Ausgestaltung wurde die Definition eines natürlichen Aromastoffes der alten Richtlinie als Satz 1 in Artikel 3 (2) c) gemäß der Aromenrichtlinie 88/388/EWG in die Definition übernommen.
Satz 2 des gleichen Artikels (d. h. „Natürliche Aromastoffe sind Stoffe, die natürlich vorkommen und in der Natur nachgewiesen wurden“) wurde erst zu einem sehr späten Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens nach der parlamentarischen Beratung angefügt. Es gab davor schon einige unterschiedliche Formulierungen, die jeweils darauf abzielten, die Anforderung des natürlichen Vorkommens gemäß Aromenrichtlinie 88/388/EWG in die neue Verordnung zu übertragen.
Es kann daher angenommen werden, dass der Gesetzgeber nach dem Wegfall des Begriffs des künstlichen Aromastoffes das natürliche Vorkommen eines natürlichen Aromastoffes im Sinne der alten Aromenrichtlinie im Gesetzestext weiterhin abbilden wollte. Im Gegensatz zur Formulierung in der alten Aromenrichtlinie, die künstliche Aromastoffe vom Natürlichkeitsbegriff ausschließt, ist mit der Formulierung der EG-Aromenverordnung das natürliche Vorkommen als eine Vorrausetzung in die Definition eines „natürlichen Aromastoffes“ eingeflossen. Der in der Verordnung gewählte Wortlaut „natürlich vorkommen und in der Natur nachgewiesen“ kann unterschiedlich ausgelegt werden. Es liegt keine Erklärung seitens des Gesetzgebers für die Ergänzung von Satz 2 in der Endphase des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens vor. Die Unvereinbarkeit mit Satz 1 der Definition des „natürlichen Aromastoffes“, nachdem natürliche Aromastoffe auch mittels herkömmlicher Lebensmittelzubereitungsverfahren hergestellt werden können, wurde vom Gesetzgeber (Kommission und Rat) nicht erkannt.
Im Erwägungsgrund 16 wird anhand des erweiterten Lebensmittelbegriffs deutlich, dass eine Verarbeitung der Lebensmittel vom Gesetzgeber vorgesehen ist:
Nach der Begriffsbestimmung der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.
Es ist nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber in Abkehr von der europäischen Richtlinie 88/388/EWG nun verarbeitete Lebensmittel vollständig aus dem Naturbegriff herausgenommen haben sollte. Damit hätte er der Definition des „natürlichen Aromastoffes“ eine völlig neue Bedeutung gegeben. Es ist gängige Praxis die Hintergründe bei gravierenden Änderungen in der Präambel durch einen Erwägungsgrund zu erläutern, um hier bei Interpretationsfragen Hilfestellung zu geben. Eine entsprechende Erläuterung liegt jedoch nicht vor.
Fazit
Nach unserer Auffassung gilt ein Aromastoff als natürlich vorkommend und in der Natur nachgewiesen, wenn er:
- in einem Stoff pflanzlichen, tierischen, mineralischen oder mikrobiologischen Ursprungs und/oder
- in einem mittels herkömmlicher Lebensmittelzubereitungsverfahren aufbereiteten Lebensmittel
zweifelsfrei identifiziert wurde.1
Stand: 16.06.2019
Rechtshinweise
Das vorliegende Dokument wurde vom Deutschen Verband der Aromenindustrie e.V. (DVAI) mit dem Ziel veröffentlicht, Antworten auf einzelne Fragestellungen zu geben. Es sollte im Zusammenhang mit der jeweils relevanten Gesetzgebung und Rechtsprechung gelesen werden und ersetzt keine Rechtsberatung im Einzelfall. Es liegt in der Verantwortung der einzelnen Aromenhäuser und Verwender des Dokuments durch geeignete Maßnahmen die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sicher zu stellen. Alle in dieser Veröffentlichung enthaltenen Angaben und Informationen wurden vom DVAI sorgfältig recherchiert und geprüft. Diese Informationen sind ein Service des Verbandes. Für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität können weder der DVAI noch die an der Erstellung und Veröffentlichung dieses Werkes beteiligten Unternehmen die Haftung übernehmen. Mit der Benutzung der Dokumente gilt der vorgenannte Haftungsausschluss als akzeptiert. Die Inhalte dieser Veröffentlichung und/oder Verweise auf Inhalte Dritter sind urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen, Bildmaterial oder sonstigen Inhalten, bedarf der vorherigen Zustimmung durch den DVAI bzw. der Rechteinhaber (Dritte).
1 Vgl./Siehe auch/Ebenso Sonja Schulz: Natürliche Aromastoffe – der zehnte Geburtstag einer verunglückten Definition, in Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (ZLR) 5/2018, 610.