„Mich reizt der Kontakt mit anderen Kulturen“

BERUFSPROFIL: REGULATORY SPECIALIST HALAL/KOSCHER

Geschmackliche Vorlieben und individuelle Ernährungsgewohnheiten sind wichtige Treiber für Produktentwicklungen in der Lebensmittelindustrie. Nicht selten sind diese Vorlieben durch religiöse Vorschriften beeinflusst, die den Konsum bestimmter Produkte einschränken bzw. vorschreiben. Auch in einigen europäischen Ländern findet man daher inzwischen Produkte mit Hinweisen auf der Verpackung, die den Verbrauchern helfen, die Produkte zu finden, die ihren Glaubensvorschriften entsprechen. Für den Einsatz in solchen Lebensmitteln, müssen auch die darin verwendeten Aromen den religiösen Anforderungen genügen. Welche Maßnahmen das bei der Herstellung voraussetzt, wer die Einhaltung dieser Vorgaben überprüft und wie groß der Markt für „halal-“ bzw. „koscher-zertifizierte“ Produkte ist, darüber haben wir mit Polina Petrova, Regulatory Specialist im Bereich Product Safety und Regulatory Assurance bei der Givaudan Deutschland GmbH gesprochen.     

Frau Petrova, Sie sind Regulatory Specialist im Bereich Product Safety and Regulatory Assurance. Welche Rolle kommt Ihnen damit im Unternehmen zu?

Als Regulatory Specialist gehört die Auditierung¹ unserer Produktionsstandorte sowie die Anerkennung und Freigabe von halal-konformen bzw. koscheren Produktions-prozessen, inklusive der Reinigung der Produktionsstrecken nach religiösen Vorgaben, zu meinen Hauptaufgaben. Darüber hinaus bin ich auch für die finale Produktzertifizierung unserer Aromen verantwortlich.

Polina Petrova – Regulatory Specialist bei der Givaudan Deutschland GmbH [Bildquelle: © Givaudan Deutschland GmbH]

Das mache ich aber natürlich nicht allein. Ich bin Teil eines Teams, das diese Aufgaben in der EMEA-Region (Europa, Naher Osten, Afrika) betreut. Meine Kollegen sitzen zum Teil in der Schweiz oder in Südafrika, Dubai und Ägypten. Der regelmäßige Austausch mit ihnen ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit, da wir uns so gegenseitig über neue Entwicklungen und Änderungen bzgl. halal und koscher auf dem Laufenden halten.

Vielleicht können Sie uns kurz erläutern, was halal bzw. koscher bedeuten?

Halal ist arabisch und bedeutet mehr oder weniger „rein, rechtmäßig“. Dabei bezieht sich „rein“ bzw. „rechtmäßig“ nicht nur auf die Qualität von Lebensmitteln, sondern ist auch Ausdruck für eine korrekte Verhaltensweise. Verhalte ich mich gegenüber anderen Personen angemessen, ist dies halal. Verhalte ich mich dagegen inkorrekt, dann ist dies haram. Genau wie unreine Lebensmittel.
Bei koscher verhält es sich ganz ähnlich. Das hebräische Wort bedeutet „rechtmäßig, erlaubt“ und wird ebenfalls nicht nur auf Lebensmittel bezogen, sondern mit einer bestimmten Lebensweise und dem sozialen Umgang mit anderen Menschen in Verbindung gebracht. Halal und koscher sind demnach sehr umfassende Begriffe, die sowohl korrekte und angemessene Handlungen umschreiben als auch für die Reinheit von Produkten stehen.

Was bedeutet das in Verbindung mit der Produktion von Lebensmitteln bzw. Aromen?

Sowohl der Islam als auch die jüdische Religion machen – zum Teil ähnliche, zum Teil unterschiedliche ­­­- Vorschriften bei der Zubereitung und dem Verzehr von Speisen und Getränken. In beiden Religionen wird beispielsweise auf den Verzehr von Schweinefleisch verzichtet, da dieses haram bzw. treif (nicht-koscher) ist. Bei alkoholischen Produkten erkennt man dagegen Unterschiede. Während im jüdischen Glauben durchaus einige Arten Alkohol erlaubt sind, ist deren Verzehr muslimischen Gläubigen grundsätzlich untersagt.
Diese Vorschriften müssen wir natürlich auch bei der Produktion unserer Aromen berücksichtigen. Das schließt nicht nur die Verwendung einiger Zutaten aus, sondern macht z. B. auch bestimmte Reinigungsprozesse unserer Produktionsanlagen notwendig. Im Falle von koscheren Aromen sprechen wir dann vom „Koscherisieren“ der Anlage, also der Reinigung nach religiösen Vorschriften. Unsere so produzierten Aromen lassen wir dann zertifizieren, um unseren Kunden und den Verbrauchern zu garantieren, dass wir die geltenden religiösen Vorschriften auf allen Ebenen eingehalten haben.

Rohstoffkontrolle – Koscher-Logo bei kritischem Rohstoff [Bildquelle: © Givaudan Deutschland GmbH]

Wer ist für die Erstellung dieser Zertifikate zuständig?

Das machen externe Behörden. Koscher-Zertifikate werden durch ein Rabbinat ausgestellt. Dafür schicken wir an die technische Abteilung des Rabbinats unsere Rezepturen, um sie hinsichtlich der verwendeten Zutaten prüfen zu lassen. Sind alle Speisevorschriften eingehalten, wird uns das Zertifikat für dieses Aroma ausgestellt. Das Rabbinat ist zudem für die jährliche Koscher-Auditierung unserer Produktions-anlagen zuständig.
Für die Zertifizierung unserer halal-konformen Aromen arbeiten wir wiederum mit Halal-Zertifizierungsbehörden zusammen. Auch hier überprüft und auditiert die technische Abteilung unsere Produkte, bevor wir die Zertifikate erhalten. In den Freigabeprozess für halal-Aromen ist allerdings noch eine weitere Abteilung eingebunden. Diese trifft eine religiöse Entscheidung, auch Fatwa-Entscheidung genannt.
Das muss man sich so vorstellen: Selbst, wenn es von technischer Seite keine Beanstandungen an der Rezeptur und Produktionsweise des Aromas gibt, heißt das lange noch nicht, dass es auch aus religiöser Sicht ok ist. Nehmen wir ein Schweinearoma. Auch wenn in dessen Rezeptur keine Bestandteile aus bzw. vom Schwein enthalten sind, kann es aus religiöser Sicht als haram eigestuft werden, etwa wenn es tatsächlich als „Schweinearoma“ deklariert ist. Allein die Verwendung des Wortes Schwein würde dazu führen, dass das Aroma keine Zertifizierung erhielte.

Wie stellen Sie sicher, dass bei der Produktion alle religiösen Vorschriften eingehalten werden?

Zunächst einmal müssen wir gegenüber den Zertifizierungsbehörden mindestens einmal im Jahr nachweisen, dass wir bei der Produktion alle geforderten religiösen Anforderungen einhalten. In diesen sogenannten Audits, die ich eben schon erwähnte, kommt die technische Abteilung der Behörde bzw. des Rabbinats zu uns in die Produktion und schaut sich alles genau an. Insbesondere auch die korrekte Reinigung der Produktionsanlagen. Entspricht alles den geforderten Vorschriften, erhalten wir für ein Jahr ein Zertifikat.
Bei einigen koscheren Aromen reicht dieses allgemeine Zertifikat allerdings nicht aus, ihre Produktion wird daher individuell überwacht und anschließend mit einem chargenbezogenen koscher-Zertifikat versehen. Dies ist z. B. notwendig, wenn es sich um „heiße“ Produktionen handelt, bei denen die Herstellung des Aromas bei einer bestimmten Temperatur erfolgt. Das Wort Überwachung ist hierbei allerdings nicht im negativen Sinne zu verstehen. Der Rabbiner leistet nämlich auch Hilfe und gibt uns Ratschläge, wie die Produktion auch für uns am effektivsten gestaltet werden kann.

Und wie stellen Sie sicher, dass auch alle Mitarbeiter die Vorschriften einhalten?   

Durch interne Schulungen. Alle an der Produktion beteiligten Mitarbeiter werden zweimal im Jahr hinsichtlich der religiösen Anforderungen geschult, wie wir das z. B. auch beim Thema Lebensmittelsicherheit machen.

Darüber hinaus sind wichtige Utensilien mit Hinweisen wie „non-halal“ bzw. „halal“ beschriftet und es werden verschiedene Farben verwendet, um kenntlich zu machen, ob Utensilien koscher oder nicht-koscher sind. So ist ausreichend sichergestellt, dass jeder weiß, welche Utensilien für welche Produkte zu benutzen sind.

Wie viele Ihrer Produkte haben inzwischen ein Zertifikat?

Inzwischen sind rund 60 bis 70 Prozent unserer Aromen halal- bzw. koscher-zertifiziert. Und die Tendenz ist weiter steigend.

Welche Faktoren treiben diese Entwicklung?

Halal- und/oder koschere Produkte werden nicht ausschließlich von Juden oder Muslimen gekauft. Da sie mit mehr Reinheit und mehr Qualität, bezogen auf die Produktionsprozesse, in Verbindung gebracht werden, kaufen auch andere Verbrauchergruppen diese Produkte². Das ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass Konsumenten heute viel stärker darauf achten, wo ihr Essen herkommt und wie es produziert wird.
Wir verkaufen unsere zertifizierten Aromen inzwischen weltweit. Selbst in Europa ist die Nachfrage nach unseren halal-zertifizierten Aromen in den letzten zwei Jahren um etwa 70 Prozent gestiegen. Und auch aus Afrika erreichen uns mehr und mehr Anfragen. Gleichzeitig erhalten wir aus der muslimischen Welt vermehrt Anfragen nach koscheren Produkten.Diese Entwicklungen sind im Wesentlichen dadurch getrieben, dass unsere Kunden, also die Lebensmittelhersteller, selbst auch global agieren. Sie möchten daher zertifizierte Aromen haben, um alle möglichen Märkte bedienen zu können.

Rohstoffkontrolle im Lager – Koscher/Halal Label Check [Bildquelle: © Givaudan Deutschland GmbH]

Wenn wir nochmal auf Ihre Rolle im Unternehmen zurückkommen, mit welchen Abteilungen arbeiten Sie besonders eng zusammen?

Ich arbeite viel mit der Kreation, also den kreativen Köpfen unseres Unternehmens zusammen. Wenn sie neue Aromen entwickeln oder Rezepturänderungen an bestehenden Aromen vornehmen und dabei religiöse Vorschriften eingehalten werden müssen, dann kontaktieren mich die Kollegen in der Regel. Gemeinsam überprüfen wir dann, ob die Aromen mit den gewählten Zutaten und in der aktuellen Zusammensetzung die geforderten Bedingungen erfüllen, um das gewünschte Zertifikat zu erhalten.
Darüber hinaus arbeite ich auch eng mit den Kollegen der Qualitätskontrolle zusammen. Sie kontaktieren mich z. B. wenn Änderungen bei Reinigungsprozessen unserer Produktionsanlagen geplant sind. Ich überprüfe dann, ob diese Änderungen im Rahmen der Zertifizierung möglich sind oder nicht. Weiterhin arbeiten wir auch viel mit der Planung und dem Verkauf zusammen. Wenn einer unserer Kunden z. B. in den muslimischen Markt expandieren möchte und sein Produktportfolio um halal-konforme-Produkte erweitern will, dann unterstützen wir die Kollegen vom Sale mit der notwendigen Expertise.
Im Grunde ist es eine beratende Funktion, die sowohl die Kollegen inhouse als auch die Kunden mit Expertise versorgt. Und natürlich fungieren wir nach außen auch als zentrale Kontaktstelle zu den Zertifizierungsbehörden.

Ihr “normaler” Arbeitsplatz ist dann wo?

Ich arbeite überwiegend von meinem Büro aus. Mindestens einmal im Jahr bin ich aber auch in der Produktion, in der Regel bin ich sogar öfter dort. Unter anderem für das Koscher-Audit und für die halal-Auditierung mit unseren jeweiligen Ansprechpartnern der Halal-Zertifizierungsbehörde bzw. des Rabbinats.

Welche Fähigkeiten und Qualifikationen sind für Ihre Arbeit besonders wichtig?

Das A und O ist auf jeden Fall ein gutes Verständnis der Produktionsprozesse. Nur so lassen sich die religiösen Anforderungen bei der Herstellung umsetzten. Mehrjährige Erfahrungen in der Aromenherstellung sind daher auf jeden Fall vorteilhaft.
Ich selbst habe vor meiner jetzigen Position in der Produktionsspezifikation gearbeitet. Für meine heutige Tätigkeit sind die Kenntnisse, die ich aus dieser Arbeit mitgenommen habe, ein wichtiger Grundbaustein, da ich nun die genauen Produktionsvorgänge nachvollziehen und mit den religiösen Anforderungen in Einklang bringen kann.
Ich hatte zudem schon ein paar Grundkenntnisse der religiösen Speisevorschriften und wusste grob, welche Bedingungen hier erfüllt sein müssen. Trotzdem musste ich zu Beginn nochmal eine spezifische Schulung machen, um mich zu qualifizieren. Und auch heute noch haben wir alle 2 Jahre Schulungen, um immer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Denn die religiösen Anforderungen ändern sich beständig, zum Teil von einem Tag auf den anderen.

Givaudan Deutschland – Standort Dortmund [Bildquelle: © Givaudan Deutschland GmbH]

Mit den Fortschritten, die die Industrie in der Produktion erzielt, ändern sich nämlich auch die religiösen Einstellungen und Anforderungen. Wir nehmen daher auch an externen Schulungen der Zertifizierungsbehörden teil. Zum Beispiel zur technischen Klassifizierung von Rohstoffen oder zur Unterteilung in kritische und nicht-kritische Rohstoffe. Die hier gewonnene Expertise geben wir dann intern weiter. Zwingend erforderlich ist zudem die Kenntnis der geltenden Regularien für die EMEA-Region, deren Vorgaben zusätzlich zu den religiösen Vorschriften eingehalten werden müssen.

Was macht Ihren Job besonders interessant?

Das Spannende in meinem Job ist, dass ich mit anderen Kulturen konfrontiert bin. Ich finde es faszinierend zu verstehen, was für andere Glaubensgemeinschaften wichtig ist. Ich selbst bin griechisch-orthodoxe Christin. Ich finde es aber unglaublich interessant mich auch mit anderen Religionen auseinanderzusetzten und zu erfahren, welche Gebote und Normen den muslimischen bzw. den jüdischen Glauben prägen, welche Unterschiede es gibt, was sie verbindet und dieses Wissen dann in meinem Job anzuwenden.

[1] Im Rahmen eines Audits bzw. einer Auditierung wird überprüft, ob Prozesse und Produktionsbedingungen die geforderten Standards erfüllen. Diese Überprüfung im Rahmen des Qualitätsmanagements erfolgt durch einen speziell dafür geschulten Auditor.

[2] In Deutschland sind bislang nur sehr wenige Lebensmittel außerhalb von Fachgeschäften mit religiösen Hinweisen gekennzeichnet. Sie sind für den Verbraucher daher in der Regel nicht erkennbar. In anderen EU-Ländern, wie Frankreich etwa, gibt es in größeren Supermärkten dagegen eigene Regale für z. B. halal-Lebensmittel.