„Aromen für eine gesündere und grünere Zukunft“
BERUFSPROFIL: LEITER ANALYTISCHE AROMENFORSCHUNG
Die Herstellung von Aromen effizienter und nachhaltiger zu machen und gleichzeitig globale Ernährungstrends durch innovative Geschmackslösungen zu gestalten, das ist die Aufgabe von Dr. Stephen Pickrahn, Leiter der analytischen Aromenforschung bei ADM in Berlin. Aktuell beschäftigt er sich vor allem mit sogenannten „grünen Trends“, also pflanzlicher Ernährung, nachhaltiger Produktion und biotechnologischen Herstellungsverfahren. Wir haben ihn gefragt, welchen Einfluss diese Trends auf die Aromenherstellung und die Beschaffung von Rohstoffen haben, wie sich die Rohstoffgewinnung in den letzten Jahrzehnten verändert hat und warum ihn sein Job immer wieder aufs Neue begeistert.
Herr Dr. Pickrahn, erinnern Sie sich an den bislang „exotisch-sten“ Rohstoff, den Sie erforscht haben?
Hier fallen mir zuerst essbare Blumen ein. Bei Chrysanthemen zum Beispiel gibt es einige essbare Arten mit interessanten Geschmacksprofilen. Für mich ist es aber generell immer wieder faszinierend, einen neuen Aromastoff, den man vielleicht nur „vom Papier her“ oder aus analytischer Sicht kennt, zu verkosten und ihn mit allen Sinnen kennenzulernen. Oftmals ist der eigene Eindruck von Geruch, Geschmack, Aussehen usw. anders als die Beschreibungen, die man im Vorfeld gelesen hat. Das ist jedes Mal eine spannende Erfahrung.

Dr. Stephen Pickrahn – Leiter der analytischen Aromenforschung bei ADM [Bildquelle: © ADM WILD Europe GmbH & Co. KG]
Ist das mit ein Grund, warum Sie sich für einen Job in der Aromenforschung entschieden haben?
Ja, auf jeden Fall. Bereits während meines Lebensmittel-chemiestudiums lag mein Fokus auf Aromen. Dieses Feld hat mich schon damals mehr interessiert als andere. Mein erster Job führte mich dann auch zu einem kleinen Hersteller von Vanilleextrakten und Backaromen. Hier habe ich über die Jahre in mehreren Bereichen gearbeitet und konnte die Vielseitigkeit der Aufgaben in der Aromenbranche kennen und schätzen lernen.
Heute leiten Sie die Abteilung Analytische Aromenforschung. Was muss man sich darunter vorstellen?
Eine Aufgabe unserer Abteilung besteht darin, die Entwicklung eines neuen Aromas zu begleiten, indem wir zu jedem Ansatz, jeder Prozessstufe bestimmen, wie viele aromatisierende Inhaltsstoffe[1] enthalten sind. Dieses Feedback ist sehr wertvoll für die Entwicklungsabteilungen, denn so können sie die ideale Temperatur, Bearbeitungszeit, Rohstoffkombination usw. bestimmen und den Herstellungsprozess optimieren, um die bestmöglichen Produkte für unsere Kunden herzustellen.
Darüber hinaus bündeln wir Ressourcen, wenn verschiedene Abteilungen an ähnlichen Fragestellungen arbeiten. Wir stellen dann Verbindungen zwischen den Kolleginnen und Kollegen her und unterstützen so die Zusammenarbeit. Meine Hauptaufgabe als Leiter der Abteilung liegt aber darin, für die Erreichung unserer langfristigen Forschungsziele zu arbeiten. Im lang etablierten Bereich der flüchtigen Aromastoffe wollen wir zum Beispiel noch effizienter und in manche Prozesse noch direkter eingebunden werden.
Wie muss man sich einen typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?
Größtenteils verbringe ich die Zeit im Büro und in Besprechungen. Ich gehe aber nach wie vor regelmäßig ins Labor und in die Produktion, um nahe am praktischen Geschehen zu bleiben. Die Zeit im Büro ist gerade für größere, globale Unternehmen typisch. Wir sind eng mit den Kollegen in Amerika und Asien vernetzt und neben dem regelmäßigen Austausch zu neuen wissenschaftlichen Informationen, betrieblichen Abläufen, usw. gibt es natürlich auch globale Projekte, an denen wir gemeinsam arbeiten. Hinzu kommen Besprechungen vor Ort zu tagesaktuellen und lokalen Themen, wie auch zu laufenden Projekten.
Neben den Besprechungen kommt der Planung von kleinen und großen Projekten sowie der Nacharbeitung für Präsenta-tionen größere Bedeutung zu. Und natürlich kümmere ich mich als Abteilungsleiter auch um administrative Tätigkeiten wie Budgetverwaltung, Sicherheitsaktivitäten, Trainings usw.

Arbeit am UHPLC-QTOF-MS zur Geschmacksstoff-Forschung [Bildquelle: © ADM WILD Europe GmbH & Co. KG]
Welche Fähigkeiten/Qualifikationen brauchen Sie für Ihre Arbeit?
Die Grundlagen der Analytik und Lebensmittelchemie aus dem Studium sind essenziell. Auch meine Auslands-erfahrungen sind heute in einem internationalen Unternehmen wie ADM sehr hilfreich.
Darüber hinaus habe ich während meiner ersten Berufsjahre in einem kleinen Aromenhaus sehr viel gelernt, denn dort hat man mich in viele betriebliche Abläufe involviert. Von der Qualitätskontrolle mit der Prüfung der Rohstoffe und Produkte bis hin zur Forschung und Ausbildung als Flavorist Trainee. So bekam ich einen tiefen Einblick in die Abläufe der Aromenentwicklung, welcher bei der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen heute enorm hilft.
Um sowohl eigenständig als auch leitend in der Forschung zu arbeiten, hat die Promotion sehr geholfen. In der Grundlagen-forschung lernt man, sich strukturiert mit einem Thema zu beschäftigen und dies auch im größeren Kreis zu vertreten. Die ebenfalls nötige geistige Flexibilität bringt auch in der industriellen Forschung viele Vorteile, um mit Zeit- und Ergebnisdruck umzugehen.
Was begeistert Sie an Ihrer Arbeit und warum?
Auch nach vielen Jahren in der Aromenindustrie und -forschung wird es nie langweiligund und ADM ist ein spannender Arbeitgeber in diesem Bereich. Änderungen bei den rechtlichen Vorgaben, neue Forschungsfelder, neue Aufgaben… unsere Industrie ist permanent in Bewegung. Hinzu kommt, dass bei der Vielzahl der Themen, die wir in der industriellen Forschung bearbeiten, immer auch Projekte dabei sind, die den persönlichen Forscherdrang wecken. Wenn daraus am Ende dann auch noch neue Produkte und Geschmäcker entstehen, die man später im Supermarktregal stehen sieht, ist das natürlich eine ganz besondere Art von Motivation.
Wo kommen die Aromen, die Sie und Ihre KollegInnen erforschen und entwickeln später zum Einsatz?
ADM hat eine vollumfängliche Aromenkompetenz mit sehr innovativen Flavoristen und Produktenwicklern auf der ganzen Welt. Die Aromen aus unserem Portfolio werden in allen Bereichen der Lebensmittel- und Getränkeindustrie ein-gesetzt. Von Backwaren, Getränken, Süßwaren, Feinkost, Mundpflegeprodukten, Fertiggerichten, Snacks usw. ist alles dabei. Ohne Aromen wäre die Vielfalt, die wir in den Supermarktregalen finden, gar nicht möglich, da man nur auf saisonal verfügbare Waren zugreifen könnte.
Und aus welchen Rohstoffen lassen sich Aromen gewinnen?
Nach wie vor bilden Gewürze, Früchte, Gemüse und weitere essbare Pflanzen die Hauptquellen. Denken Sie zum Beispiel an Zitrusfrüchte, da sitzen die aromagebenden Bestandteile direkt in der Schale. Das riecht und merkt man sehr deutlich zum Beispiel beim Schälen einer Orange. Wir gewinnen aus diesen natürlichen Rohstoffen unter anderem hoch-konzentrierte Aroma-Extrakte, sogenannte FTNF-Aromen. FTNF steht für „From The Named Fruit” und bedeutet, dass der Extrakt ausschließlich aus der namensgebenden Frucht kommt.
Hat sich die Rohstoffgewinnung in den letzten Jahren/ Jahrzehnten verändert? Welche äußeren Impulse haben hierzu beigetragen?
Bedingt durch klimatische Einflüsse und damit verbundene Unsicherheiten in den Ernten, gewinnen biotechnologische Verfahren auf Basis erneuerbarer Rohstoffe immer mehr an Bedeutung. Dabei greift man zum Teil auf sehr altes Wissen zurück, denn schon vor der Antike nutze man fermentative Prozesse zur Herstellung von Käse und alkoholischen Getränken.

Neben dem GC-MS zur Aromenanalytik [Bildquelle: © ADM WILD Europe GmbH & Co. KG]
Heute kann man mittels Fermentation zum Beispiel die „buttrigen“ Aromastoffe Acetoin und Diacetyl gewinnen. Dabei produzieren Milchsäurebakterien auf Basis einer Zucker- oder zitronensäurehaltigen Nährlösung diese beiden Verbin-dungen. Natürlich trägt auch das Verhalten der Verbraucher zu Veränderungen bei. Sie achten vermehrt auf nachhaltig und ressourcenschonend erzeugte Produkte. Wir arbeiten daher stetig daran unseren Ressourceneinsatz zu vermindern und unsere Prozesse zu optimieren.
Wie wichtig nehmen Sie und Ihr Unternehmen dabei das Thema „nachhaltige Beschaffung“?
Für uns als Unternehmen ist es wichtig ganzheitlich zu handeln. Nachhaltigkeit beschränkt sich daher nicht auf die nachhaltige Beschaffung von Rohstoffen. Im Rahmen unserer globalen Nachhaltigkeitsinitiative Strive 35 wollen wir bis 2035 auch unsere Treibhausgasemissionen um 25 Prozent, die Energieintensität um 15 Prozent und die Wasserintensität um 10 Prozent reduzieren.
Bei allen Beschaffungs-, Produktions- und Vermarktungs-aktivitäten versuchen wir zudem Abfälle zu vermeiden oder, wo dies nicht möglich ist, diese zu verwerten und die verbleibenden Reste möglichst umweltschonend zu entsorgen. Ein konkretes Beispiel sind die bereits erwähnten FTNF-Produkte. Als Ausgangsmaterial nutzen wir Fruchtpürees, denen wir das Aroma mittels physikalischer Prozesse (u. a. Wasserdampfdestillation) entziehen. Übrig bleiben dann nur Wasser und Fruchtpüree-Konzentrat, das wir innerhalb von ADM für andere Anwendungen voll verwerten können.
Verraten Sie uns zum Schluss noch, welche neuen Geschmacksrichtungen wir in Zukunft erwarten dürfen?
Ein sehr spannendes Thema. Wir beobachten zusammen mit unserem globalen Marketing- und Consumer Insights Team und externen Trend-Agenturen sehr intensiv aktuelle globale Markttrends sowie Verhaltensänderungen der Endkunden und erarbeiten zusammen Trendpräsentationen und innovative Konzepte für unsere Kunden.
Weltweit gibt es noch viele Geschmacksrichtungen zu entdecken, die in unseren Breitengraden nicht so bekannt sind, wie zum Beispiel Loomi (Schwarze Zitrone) oder Kumquat. Diese kombinieren wir gerne mit „bekannten“ Geschmäckern, weil wir sehen, dass Verbraucher eher bereit sind, mit gewagten und exotischen Zutaten zu experimentieren, wenn wir sie mit bekannten Geschmacks-richtungen kombinieren. Nehmen Sie zum Beispiel gefrorene Desserts, die Schokolade mit scharfen Gewürzen wie Cayenne oder Ingwer kombinieren, um ein intensives Geschmacksprofil zu erstellen.
Grundsätzlich sind es aber die großen, globalen Trends wie Natürlichkeit, Gesundheit sowie Wohlbefinden, die wir als ausschlaggebende Treiber von Innovationen sehen.
[1] Aromen sind in der Regel Mischungen aus aromatisierenden und nicht-aromatisierenden Zutaten. Zu den aromatisierenden Bestandteilen gehören die gemäß EG-Aromenverordnung 1334/2008 aufgeführten sechs Aromakategorien (Aromaextrakte, Aromastoffe, thermisch gewonnene Reaktionsaromen, Raucharomen, Aromavorstufen, sonstige Aromen). Nicht-aromatisierende Bestandteile sind zum Beispiel Zusatz- und/oder Trägerstoffe.